Nachdenken - Oktober

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Nachdenken Oktober 2021

Dieser Papst überrascht – so können wir immer wieder über Papst Franziskus lesen. Es stimmt, es ist sehr schwierig, eine Voraussage zu treffen, wie er in welcher Situation entscheidet.

Im Oktober soll ein gemeinsamer Weg aller Katholik:innen beginnen, den er als cammino sinodale bezeichnet und damit zumindest sprachlich ganz dicht am deutschen Synodalen Weg anschließt. Die erste Phase wird in den Diözesen stattfinden und bis April 2022 dauern mit dem Ziel, die „Gesamtheit der Getauften zu hören“. 

Das hört sich doch sehr positiv an: endlich wird der Dialogprozess auch vom Papst eingefordert, endlich werden alle Katholik:innen gehört, endlich wird ein Aufbruch stattfinden. So gerne würde ich eine Lobeshymne singen, wenn nicht – ja wenn wir nicht so viele andere Erfahrungen mit Papst Franziskus gemacht hätten. Eine Umfrage unter allen Katholik:innen gab es, wo durchaus kontrovers verschiedene Themen diskutiert wurden, wo vor allem die strikte katholische Sexualmoral hinterfragt wurde. Der Impuls ist verpufft – stattdessen gab es z. B. die Absage an die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare.

Wenn man die Worte, die Franziskus bei der Papstaudienz gesprochen hat, genauer betrachtet, dann fällt auf, dass er eine durch und durch hierarchische Sicht auf die Kirche hat: „Bei der Synode geht es auch darum, Raum zu schaffen für einen Dialog über unsere Nöte, die Nöte, die ich als euer Bischof habe, die Nöte, die die Weihbischöfe haben, die Nöte, die Priester und Laien haben, und die, die zu Verbänden gehören.“ Oben angefangen, unten aufgehört. Sofort fällt mir der Spruch meiner Mutter ein: „Der Esel nennt sich selbst zuerst“; will sagen: es wäre ein Leichtes gewesen, die Aufzählung mit den Laien und den Verbänden zu beginnen. Haarspalterisch? Mag so scheinen. Ich denke: symptomatisch.

Gehen wir zu einer anderen Aussage, die für mich noch mehr Fragen aufwirft. Mario Galgano, der den Artikel über die Papstaudienz für Vatikan News verfasst hat, gibt Papst Franziskus so wider: „In der Kirche gibt es einige, ‚die sich an die Stelle Gottes setzen und behaupten „die Kirche nach ihrem eigenen Vorbild gestalten zu müssen“. Doch auf diese Weise würden sie nur Grenzen aufbauen und vor allem gegen Gott lästern.“

Wer sind diese „einige“? Und vor allem: wer wertet, ob die Gestaltungsvorschläge dem „eigenen Vorbild“ entsprechen und nicht dem Geist des Evangeliums? Wer urteilt, wann welche Aussage Gotteslästerung ist?

Wenn wir auf die Aussagen des Vatikanum I schauen, dann sind die Fragen einfach zu beantworten. Die Autorität des Papstes beinhaltet auch die absolute Lehrgewalt und die Möglichkeit, ohne Abstimmung mit irgendjemand „ex cathedra“ unfehlbar in Glaubens- und Sittenfragen zu sprechen und damit letztendlich über diese Fragen zu entscheiden.

Wenn wir mit dieser „Absolutheitsanspruchsbrille“ den „cammino sinodale“ betrachten, dann sind Zweifel ob des Sinns und vor allem des Erfolgs angebracht. Mir sagte vor einigen Tagen eine Frau: „Wissen Sie, ich bin im März aus der Katholischen Kirche ausgetreten.“ So viele Katholik:innen haben die Kirche verlassen. Wie schaffen wir es, ihre Stimmen hörbar zu machen, ihnen den Raum zugeben, in welchem sie über ihre Nöte berichten können? Denn ohne sie haben wir keine „Gesamtheit der Getauften“, sondern nur die Gesamtheit der Kirchensteuerzahler:innen.

Ich bin sehr gespannt, wie sich die Kirche in den kommenden zwanzig Jahren weiterentwickelt. Der Zenit der Volkskirche ist längst überschritten, davon sind auch die Bischöfe überzeugt, vielleicht ist ja auch schon der “point of no return“ überschritten.

Wenn sich der Dialogprozess am Ende als Sandkastenspiel herausstellen sollte, wäre es insbesondere für die demokratieerprobten Katholik:innen in Deutschland katastrophal.

Karlheinz Heiss
Diözesanvorsitzender