nachdenken - Mai 2020

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Frau gebärt trotz Corona

Wieso sollte sie nicht, werden Sie sich vielleicht fragen. Nun, in diesem Fall aus Amerika war die Coronagrippe so heftig, dass die Frau ins Koma fiel und das Kind nach einem Kaiserschnitt das Licht der Welt erblickte. Diese Überschrift passt gut in den Maienmonat, der in der katholischen Kirche ja im Besonderen Maria gedenkt. Maria sagt über die angekündigte Schwangerschaft: „wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Die Mai-Variante der Überschrift müsste also lauten: „Maria gebärt trotz Jungfrauschaft“.

Es ist ein Reizthema, das damit angesprochen ist. Wie viele Kommentare und Erklärung haben Theologen schon dazu abgegeben, beginnend mit der Erklärung als Übersetzungsfehler des Hieronymus, der aus der ursprünglich griechischen „jungen Frau“ eine „virgina“, eine Jungfrau macht. Beeinflusst die Beantwortung der Frage, ob eine Jungfrauengeburt denkbar, machbar, hinnehmbar ist, mein Gottesbild, mein Jesusbild? Wir nähern uns dem eigentlichen Kern von „Mariä Verkündigung“ (wird am 25. März gefeiert) und dem Kern der „Reizung“, die diese lukanischen Geschichte auslöst: der Frage nach der Allmacht Gottes. „Denn für Gott ist nichts unmöglich“, so beantwortet Gabriel die Frage Marias.

Und damit ist nicht nur der Himmel, sondern auch der Kosmos theologischer Fragestellungen und Antworten offen.

In der Pandemiezeit haben Verschwörungstheoretiker und Untergangspropheten das optimale Spielfeld: die Pandemie ist eine Strafe Gottes. Für was? Wen will er strafen und wofür? Hier wird aktives Eingreifen Gottes in die Geschichte vorausgesetzt und im Umkehrschluss die Theodizeefrage gestellt: „Wenn für Gott nichts unmöglich ist, warum lässt er dann das Leid zu?“ Die Frage war nach dem 2. Weltkrieg und dem Entsetzen über den millionenfachen Völkermord eine zentrale Anfrage an unser Gottesbild.

Die Christenheit lebt in der Überzeugung, dass Gott historisch und aktiv in die Geschichte eingegriffen hat. Im Glaubensbekenntnis wird das alles zusammengestellt: Gott ist der Schöpfer, der Jesus gezeugt hat, nicht geschaffen, Jesus wurde empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, hat gelitten unter Pontius Pilatus, wurde gekreuzigt und ist gestorben. Das Leiden und Sterben ist handfeste Historie, von Quellen bestätigt, die nichts mit dem Christentum zu tun haben. Jesus ist eine geschichtliche Person, und wir Christen sind davon überzeugt, dass das Eingreifen Gottes eine geschichtliche, datierbare Größe ist.

Warum also ein Eingreifen Gottes vor zweitausend Jahren, kein Eingreifen in den Jahren 1933-1945, jetzt wieder ein Eingreifen im Jahr 2020 mit einem rassistischen Unterton, weil die Pandemie Afroamerikaner besonders trifft und einer diskriminierenden Konnotation, weil es die Alten trifft, die wir doch ehren sollen.

Warum-Fragen bleiben häufig unbeantwortet, und wer jetzt auf eine überzeugende und logisch nachvollziehbare Antwort von mir hofft, die/den muss ich enttäuschen.

Ich habe keine, und ich maße mir auch nicht an, eine zu entwickeln. Als Menschen sind wir auf Logik getrimmt, auf ein Ursache-Wirkungsprinzip. Die abendlichen Äußerungen der Virologen und Epidemiologen versuchen sich an diesem Spiel, heraus kommt aber meistens neben fundiertem Wissen eine gute Portion Kaffeesatzlesen. Dennoch spüre ich in dem Bemühen von Wissenschaft und Politik, welchen hohen Stellenwert in Deutschland der Schutz des Lebens genießt, und das macht ein gutes Gefühl.

„Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand“ – lautet eine Zuschreibung aus früheren Tagen. Ob sie jetzt noch gilt oder überhaupt jemals gegolten hat? Man gehe in die Historie und studiere die News. Ich gebe zu: bei diesem Satz habe ich kein so gutes Gefühl.

Karlheinz Heiss
Diözesanvorsitzender