nachdenken - Juni 2020

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„Donald Trump hält die Bibel hoch, anstatt in ihr zu lesen. So macht es ein Messias, der die Autorität zugebilligt bekommen hat, ihre Geschichte fortzuschreiben. Egal wie.“ – titelt Johannes Schneider am 4. Juni 2020 auf Zeit-online.

Diese Aussage löst in mir Zustimmung aus – und gleichzeitig Ablehnung.

Ich sehe dahinter die Person, die die Bibel hochhält und ich sehe die Zielrichtung der Hand, die sie trägt. In der Geschichte der Kirche war die Bibel oft ein Wurfgeschoss, das einen inneren oder äußeren Feind zerschmettern sollte: der berühmte Kreuzzugsprediger Bernhard von Clairvaux (1090 – 1153) war so ein Bibelwerfer. Schon im 1. Kreuzzug von 1096 bis 1099 war die Rückeroberung der heiligen Stätten verbunden mit massiven Machtinteressen. Das Ergebnis des Krieges gegen die Ungläubigen war verheerend. Die Ritter zogen plündernd und vergewaltigend nach Jerusalem und wateten nach der Eroberung im Blut der ermordeten Kinder, Frauen und Männer. 1146 trat nun Bernhard als Kreuzzugsprediger des 2. Kreuzzugs auf. Auch hier waren machtpolitische Überlegungen mit im Spiel. Bernhards Überlegungen zugunsten eines „geistlichen Rittertums“ protegierte den Templerorden. Gegründet wurde er um 1120, Mitbegründer war Andreas von Montbar, ein Onkel des Bernhard. Dieser Kreuzzug scheiterte, der Templerorden wurde aber bestimmend für das 13. Jahrhundert. Als er 1312 zerschlagen wurde (aus machtpolitischen Interessen), hinterließ er den Mythos des mächtigen, wahnsinnig reichen Geheimbunds, und dieser Mythos lebt noch heute.

Schauen wir auf die Bibelwerfer in der heutigen Zeit. Da kommen mir alle religiösen Fanatiker in den Sinn, egal, aus welcher Ecke sie stammen. Sie versuchen, mit Zitaten ihre Gegner und Feinde zu maßregeln, zu beschädigen, sie mundtot zu machen (richtig totmachen geht nicht mehr so geschickt wie in früheren Zeiten). Es gibt auch die Traditionalisten, die nicht mit Bibeln, sondern mit der Tradition um sich werfen. Traditionen sind etwas Schönes und Liebenswertes, aber auch hier gilt der Blick nach der Zielrichtung. Tradition muss lebendig bleiben. So wie sich die Welt entwickelt, müssen sich auch Traditionen weiter entwickeln. Nur ein kleiner Blick auf Trump. Wer das Wort „racism“ auf twitter schreibt, wird automatisch zum amerikanischen Präsidenten geführt. Ist das nicht schrecklich? Er hält die Bibel hoch – er braucht sie nicht mal als Wurfgeschoss einsetzen, weil er sich sowieso als der Allmächtige fühlt.

Es gab vor 2000 Jahren einen Mann, der die Bibel ebenfalls hoch hielt. Es war die Bibel der Juden, in der so viel Schreckliches berichtet wird. Mord und Totschlag, Verführung und Vergewaltigung, Menschenopfer, Ausgrenzung, Homophobie und und und. Die Liste ist leider endlos, und doch sagte er, er sei nicht dazu da, etwas aus der Bibel zu entfernen, sondern sie zu erfüllen. Und das tat er: er erfüllte sie mit einem Leben, das Heil zusprach, das Lahme gehend, Taube hörend und Blinde sehend machte, das dem Unheil das Heil gegenüber stellte. Ein Leben ohne Diskriminierung, mit einer hohen Achtung vor den Frauen, mit Milde gegen Ehebrecherinnen, mit einer neuen „Moral“, die alles auf den Kopf stellte. Nicht der tönerne Buchstabe des Gesetzes, sondern der dahinter liegende Sinn stand im Focus. Speech behind speech – sie müssen wir prüfen, wenn wir Menschen mit Bibeln, mit dem Koran, dem Talmud oder dem Grundgesetz sehen. Die Rede hinter der Rede, die Haltung, die Idee, die Zielrichtung. Das ist die Plausibilitätsprüfung für jede Botschaft, die zu uns kommt.

Karlheinz Heiss
Diözesanvorsitzender