nachdenken - Juli 2020

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Braungebrannt und mit Vollbart stellte der ehemalige Bischof von Limburg, Franz-Peter Tebartz-van Elst in Rom ein neues „Direktorium für die Katechese“ vor

Wie soll ich beschreiben, was diese Szene in mir auslöst? Ich schwanke zwischen Kopfschütteln, Achselzucken, hysterisches Lachen und Verstummen. Da wird ein deutscher Bischof mit dem Attribut „Protzbischof“ versehen und aus seiner Diözese gejagt, um 6 Jahre später den deutschen Katholik*innen ein Regelwerk für den Unterricht im Glauben zu präsentieren. 

„Im Päpstlichen Rat für Neuevangelisierung kümmert er sich um die Verkündung des Evangeliums in Ländern, in denen der Glaube zwar stark verwurzelt ist, aber die Unterstützung für die Kirche schwindet“ (express-online). Wie weit ist Rom von Rottenburg entfernt? Ziemlich genau 1.040 km, und doch hat man das Gefühl, es müssten Lichtjahre sein. Es zeugt weder von gutem Geschmack noch von einer Intelligenzleistung, eben den Mann für Neuevangelisierung einzusetzen, der 2015 Anlass und Anstoß für viele Katholik*innen war, die Kirche zu verlassen. Der Trend geht beschleunigt weiter: die aktuellen Zahlen der Kirchenaustritte in unserer Diözese sprechen Bände:  2017 waren es 13.552, 2018 17.497, 2019 schließlich 21.861. In Summe innerhalb von 3 Jahren sind das 52.910 Menschen, die unserer Kirche den Rücken zukehren. Gründe: .„Macht- und Hierarchiewahrnehmung, gleichberechtigter Zugang von Frauen zu allen Weiheämtern und die Sexualmoral“, sagt der für die pastorale Konzeption der Diözese zuständige Weihbischof Karrer (zitiert nach DRS.de). Um noch einmal eine Relation zu haben: in diesen drei Jahren sind mehr Menschen ausgetreten, als Rottenburg, die Bischofsstadt, Einwohner hat. 

Was steckt hinter diesen Vorder-Gründen? Eine zunehmende Entfremdung der Menschen von der katholischen Kirche, das Gefühl, dass sich nichts bewegen will und soll, die offenen Schläge in das Gesicht von missbrauchten Kirchensteuerzahler*innen. Und solche Aktionen wie die Beauftragung von Tebartz-van Eltz mit der Neuevangelisierung. Wie würde ein Unternehmen reagieren, wenn sich Negativrekorde häufen? Mit der Überprüfung der Unternehmensstruktur, mit dem Hinterfragen der Unternehmenskultur und schließlich mit Entlassungen im Management. Modellprojekte wie „Engagementsförderung“, „Glaubenskommunikation Junger Erwachsener“ oder „Trauerpastoral und Bestattungskultur“ wirken hilflos und werden als mühsame Beschäftigungstherapie für die Mitarbeiter*innen erlebt, wenn und weil sich sonst nichts ändern soll. Wir brauchen eine grundsätzlich Neuausrichtung der Struktur, einen radikalen Übergang von Verantwortung auf die Laien und endlich eine umfassende Aufarbeitung all der Dinge, die in den vergangenen Jahren die katholische Kirche so in Misskredit gebracht haben. Der pathologisch reflexhafte Seitenblick auf die evangelische Kirche („die evangelische und die katholische Kirche sind in gleicher Weise von hohen Austrittszahlen betroffen“, Weibischof Karrer) erinnert an die Elefantenrunde nach Wahlen. Am Ende der Diskussion wird aus der verheerenden Niederlage ein ganz respektabler Erfolg. 

Um den braungebrannten Bischof ein wenig in das Licht der langen Tradition der katholischen Kirche zu stellen: er hatte beim Neubau seines Bischofshauses versucht, katholisch-barocke Prachtentfaltung in die heutige Zeit zu übertragen. Dafür sei ihm Respekt gezollt: es ist ihm gelungen.  Und deshalb darf er jetzt in Deutschland mit seinen vielen barocken Kirchen und Klöstern sein Missionswerk durchführen.

Wir werden das „Regelwerk“ intensiv studieren und bei A wie Armut beginnen.  

Karlheinz Heiss
Diözesanvorsitzender