Nachdenken Oktober 2020

· Aktuelles

Zwei Jahre nach der MHG-Studie – was hat sich in der Diözese Rottenburg-Stuttgart getan?

Zwei Jahre sind eine kurze Zeit, wenn wir auf die 2000-jährige Geschichte der katholischen Kirche schauen. Zwei Jahre sind aber auch eine richtig lange Zeit, wenn wir auf die Entwicklung von Kindern schauen: „Wenn dein Kind 2 Jahre alt ist, erkennt es langsam, dass es eine selbstständige Person ist. Das bedeutet, dass viele Kinder der Mama-Phase entwachsen. Denn jetzt sind sie reif genug, um zu verstehen, dass Mama kein Teil von ihnen ist (Barbara Schniebel, www.hallo-eltern.de)“. Wenn wir uns an das hilflose Geschöpf kurz nach der Geburt erinnern, dann ist das eine gewaltige Entwicklung.

Wie sieht es mit der Entwicklung aus, wenn wir auf den Oktober 2018 zurückschauen. Vor zwei Jahren wurde die große Missbrauchs-Studie (MHG-Studie) veröffentlicht.

Die Entwicklungen überschlagen sich gerade: neue Entschädigungssummen, Vertuschungsvorwürfe gegen den Hamburg Bischof, der Streit um die Nennung von Namen der Verantwortlichen in der Öffentlichkeit.

Wenn ich diese Überschriften, das Agieren verschiedener Bischöfe in Deutschland und die Äußerungen aus dem Vatikan vor Augen habe – es macht wird mir Angst. Meine katholische Kirche – sie findet keinen richtigen Tritt mehr in unserer Gesellschaft, sie zeigt sich zerstritten, sie grenzt aus, sie will wieder zurück in eine „gute, alte Zeit“, die so viel einfacher aus der Rückschau erscheint.

Wenn wir das „Alte“ mit dem Blick der MHG-Studie sehen, dann nehmen wir eben auch Machtstrukturen wahr, die Missbrauch begünstigen. Da wollen wir sicher nicht hin. Wir als aufgeklärte Demokrat*innen wollen Teilhabe, Partizipation, das heißt: demokratische Strukturen.

Nun aber der Blick auf unsere Diözese: was ist bei uns in den vergangenen Jahren passiert?

Die Missbrauchskommission hat sich verändert. Erwin Wespel, der langjährige Geschäftsführer der KsM, ist in den wohlverdienten Ruhestand gegangen, Frau Theresia Werner hat die Nachfolge angetreten. Immer wieder in der Kritik war die Zusammensetzung der Kommission in Bezug auf ihre Unabhängigkeit. Diese Frage wurde in 2020 dadurch beantwortet, dass alle Mitglieder, die im kirchlichen Dienst sind, von „ordentlichen“ zu „beratenden“ Mitglieder gemacht wurden.
Ob die ordentlichen, also stimmberechtigten Mitglieder wirklich „unabhängig“ sind, wird auch künftig ein Thema bleiben. Ohne an der persönlichen Integrität zu zweifeln – aber wenn sich schon ein/e "normale/r Gläubige/r" dem Bischof Gehorsam schuldet - wie immer man den verstehen mag - , wie abgestuft bzw. hochgestuft ist dann die Gehorsamspflicht der Mitglieder der Kommission. Auch das Verhältnis 5 beratenden zu 7 ordentliche Mitglieder finde ich problematisch, zumal die nun Beratenden vorher Stimmberechtigte waren. Spüren die Mitglieder den Unterschied?

Also mehr Schein als Sein? Wenn sich mir diese Frage stellt, werden sicher andere auch noch unschlüssig sein, wie sie es werten sollen. Warum gab es keinen Schnitt, eine richtige Neuausrichtung der Kommission? Mir bleibt das Gefühl, dass mit dieser Neuorientierung verschleiert werden soll, dass doch alles beim Alten bleibt. Vorwärts in die Vergangenheit.

Karlheinz Heiss
Diözesanvorsitzender