Nachdenken - Januar 2020

· Aktuelles

Der Januar hat seinen Namen vom doppelgesichtigen römischen Gott Janus.

Er schaut sowohl in die Vergangenheit und in die Zukunft. Er fordert auch uns auf, in die Vergangenheit zu schauen und Wünsche für die Zukunft zu formulieren. Und dies heißt auch, den Jetztzustand anzusehen.

2020 erinnern wir uns an die Geburt des Papstes Gregor VII im Jahr 1020, der in die Geschichtsbücher eingegangen ist durch den „Gang nach Canossa“ des Königs und späteren Kaisers Heinrich IV. Wenn wir die 2000-jährige Geschichte der Kirche betrachten, dann ist dieser Termin schon eine gewisse Wende, denn die Machtfülle der römisch-katholischen Kirche war an diesem Punkt besonders deutlich zu spüren. Mit Hilfe des Machtmittels Exkommunikation wurde der König im sogenannten Investiturstreit zum Einlenken gezwungen. Nach der kirchlichen Rechtsauffassung darf ein*e Exkommunizierte*r kein Sakrament empfangen oder spenden, bleibt aber im Sinne einer “Beugestrafe“ Teil der Kirche. Dieses scharfe Schwert traf im Mittelalter besonders hart. Der Anspruch, dass außerhalb der Kirche kein Heil zu finden sei und die als magisch zu bezeichnende Kraft des Kommunionempfangs machten Heinrich als König untragbar, er musste also unter Einsatz aller Mittel sich wieder mit der Kirche bzw mit dem Papst aussöhnen. Scharfe Schwerter werden bei Dauereinsatz immer schwächer, insbesondere, wenn diejenigen, die das Schwert führen, selbst nicht der gesetzten Norm entsprechen.

Gehen wir noch tausend Jahre zurück. Im Jahr 20 werden die Bewohner*innen des von Rom besetzten Gebiets um Jerusalem jenen Jesus von Nazareth als wandernden Prediger und Schriftgelehrten erlebt haben. Wenn wir uns auf die ersten Zeugnisse über sein Wirken stützen, dann war der Rabbi jemand, der sich entschieden gegen jede Form der Diskriminierung stellte: Frauen zählten zu seinen Anhängerinnen ebenso wie Männer, er trat in freundschaftlichen Kontakt mit den Kollaborateuren des verhassten Besatzerregimes, er verurteilte niemand, die oder der sich außerhalb des normierten Anspruchs stellte, er ließ Vielfalt zu und mahnte, sich weniger an dem Wortlaut als am Inhalt zu orientieren, die „speech behind speech“ zu suchen. Diese Ideen haben ihn ans Kreuz gebracht und er starb einen gottverlassenen Tod. Wenn wir den Glauben an seine Auferstehung „minimal“ deuten, dann ist sie die Bestätigung dafür, dass sein Handeln, seine Haltung zu den Menschen und zum Leben, richtig war und als Richtschnur gelten darf.

Springen wir auf das Jahr 2020 und das Agieren der römisch-katholischen Kirche in der Jetztzeit. Der Kölner Kardinal Woelki hat in seiner Predigt zum Dreikönigstag davon gesprochen, dass „nur der Glaube, wie er von den Aposteln grundgelegt und durch die Zeiten hindurch bewahrt worden sei, garantiere, dass wir nicht Irrlichtern aufsitzen und von ihnen in die Irre geführt werden.“ Da fällt mir spontan ein „Huch“ ein, vor allem, wenn ich an „durch die Zeiten“ denke. Wie hat die römisch-katholische Kirche den Glauben an den Mann aus Nazareth, der so gegen Diskriminierung antrat, in den vergangenen 2000 Jahren gelebt. „An ihren Taten werdet ihr sie erkennen“ lautet ein Sprichwort, das hier die Vergrößerungsbrille darstellen muss. Rassismus (Nickn**gerlein), Kolonialismus im Zeichen der Mission, Klassismus, Unterdrückung der Frauen, Verfolgung von Homosexuellen – all das auf einem Glauben beruhend, der von den Aposteln grundgelegt wurde.

Was ich spüre, ist eine tiefgreifende Veränderung im gesellschaftlichen Diskurs. „New attitude“ – neue Haltung würde ich das Ziel des Diskurses nennen. Ausgehend von der Überlegung, dass die unantastbare Würde des Menschen auch ein Diskriminierungsverbot nach sich ziehen muss, werden Rassismus, Kolonialismus, Klassismus, Unterdrückung der Frauen, Verfolgung von Homosexuellen scharf angegangen und verurteilt. Auf die Gesellschaft bezogen und in der westlichen Gesellschaft verankert gehen die Vertreter der Amtskirche gern mit dem Diskriminierungsverbot, schizophren agieren sie, wenn es um die Strukturen im eigenen Haus, in der Kirche geht. Hier ist „the new attitude“ ein Irrlicht, vor dem man (oder besser: Mann) sich hüten muss.

Ich wünsche mir für die Zukunft unserer Kirche, dass sie erkennt, dass „the new attitude“ am Beginn ihrer eigenen Geschichte steht, im Handeln des Jesus von Nazareth. Und dass sie begreift (da schließe ich alle mit ein, die Amtskirche wie die Laien), dass wir beginnend im Jahr 2020 aufgerufen sind, den „Gang nach Canossa“ anzutreten, weil wir agiert oder zugeschaut haben, wenn Priester ihre Macht spirituell oder mit der Hand missbraucht haben. Spätestens seit der Aufdeckung des Missbrauchsskandals darf es kein „weiter so“ mehr geben.

Wir als Kirche müssen uns aktiv in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen. Ernst genommen werden wir aber erst wieder, wenn wir den „Gang nach Canossa“ gemacht haben. Die Rollen sind vertauscht: auf der Seite, die „Entschuldung“ zusagen können, stehen diesmal keine Vertreter der „ecclesia triumphans“, sondern die Opfer hierarchischer Gewalt, die Betroffene des Missbrauchs und ihre Familien, Diskriminierte, Verfolgte.

Dieses Jahr werden wir nutzen, um uns eine Route nach Canossa zu überlegen! Ich befürchte, dass der synodale Weg Canossa nicht finden wird.

Karlheinz Heiss, Diözesanvorsitzender